Bildung ist (k)ein Geschenk – Kolumbien (4)

Über 50 Austauschstudenten aus allen Teilen der Welt machen im Moment die „Universidad del Norte“ in Baranquilla unsicher. Unter ihnen Amerikaner, Mexikaner, Koreaner, Chinesen und einige Europäer. So viel ist schon mal klar: Bildung ist in Kolumbien kein Geschenk.

Ein Raunen geht durch die Menge der bunt zusammengewürfelten Austauschstudenten, die sich in einem der Hörsäle der Universidad del Norte zusammengefunden haben. In dem Raum, den die Klimaanlage auf arktische Temperaturen herunterkühlt, ist ein Wort gefallen, auf das vor allem europäische Studenten allergisch reagieren: „Anwesenheitspflicht.“ Was an Universitäten in Deutschland vor allem unter Studenten verpönt und oftmals rechtlich nicht haltbar ist, ist hier in Kolumbien Realität. Allgemein tun mir die kolumbianischen Studenten leid, für sie ist ein Nebenjob undenkbar, sie verbringen viel Zeit hier und müssen ständig Leistungsnachweise erbringen. Die Uni fordert viel, fördert aber nur bedingt. Ein bisschen fühlt es sich an, als wäre man zurück auf dem Gymnasium.

Studieren in Kolumbien

Doch warum ist das so? Bildung ist teuer in Kolumbien. Vor allem hier an der Universidad del Norte logieren nur diejenigen, die es sich auch leisten können. Ein Semester kostet eine ganze Menge, bis jetzt habe ich schon alles zwischen ein und fünftausend Dollar gehört. Eltern, die viel Geld in die Bildung ihrer Kinder investieren, wollen natürlich auch Ergebnisse sehen. Das ganze Semester über wird hier die Leistung der Schüler abgeprüft, drei Parciales (Tests während des Semesters) sind normal. Außerdem fangen die meisten hier um Einiges früher zu studieren an, als in Deutschland. Viele sind gerade 16 geworden und es fehlt nicht nur an Reife, sondern auch an den nötigen Kompetenzen, den universitären Alltag zu meistern. Hier gibt es Förderkurse, die grundlegende Lern- und Arbeitsstrategien vermitteln. Bei uns ist das großer Bestandteil der schulischen oder gymnasialen Bildung. Es scheint, als würde unter diesen Bedingungen auch das Zusammenleben der Studenten leiden. Nur mit viel Glück findet man aufgeschlossene, junge Leute, die bereit sind, sich mit dem „Neuen“ auseinander zu setzten. Fazit: Wer sich in Deutschland über die Verschulung der Universität beschwert, kennt kolumbische Standards nicht.

Sorry Direktor Bayona!

Die Uninorte hält große Stücke auf sich selbst. Das wurde schon bei der Begrüßung der neuen Studenten klar, an der auch wir Internacionales teilnehmen mussten/durften. Direktor Dr. Jesús Ferro Bayona spickt seine Rede mit schweren Worten – Pathos in Text und Stimmlage. Er spricht von Bildung und Selbstbildung, Klimawandel und Gesellschaft. Auch Themen wie soziale Ungleichheit und Veränderung schneidet er an, vor eine Turnhalle voller privilegierter 16 – Jähriger. Die Rede ist so perfide wie mutig. Soziale Ungerechtigkeit anzuprangern, während nicht mal die mager bestückte Bibliothek hier für die Öffentlichkeit zugänglich ist, zeugt nicht gerade von Weitblick. Sicherheitsleute und Drehkreuze, die auch meinen Fingerabdruck jeden Morgen scannen, schotten den Campus nicht nur gefühlt von der Außenwelt ab.

Das war jetzt etwas provokant gesprochen. Themen wie die oben genannten vor den Studenten anzusprechen, ist ja eigentlich keine schlechte Sache und auch einige meiner Professoren hier, überzeugen mich wirklich. Vor allem der Kurs „Politica Colombiana“ stößt nicht nur mich, sondern auch alle anderen Teilnehmer immer wieder auf die sozialen Problematiken, die es in diesem Land gibt. Hin und wieder hat man das Gefühl, dass sich die kolumbianischen Studenten nicht ganz wohl in der Veranstaltung fühlen. Der Dozent hat es sich zur Aufgabe gemacht, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und erinnert in jeder Sitzung daran, dass das Leben hier an der Uni nicht der Realität in diesem Land entspricht. Aus den Inhalten dieses Kurses werde ich mit Sicherheit noch einen eigenen Beitrag basteln, denn er wiederspricht auch dem Bild, das ich bisher von Kolumbien hatte.

Internatcionales unter sich

Bei aller Kritik muss man doch auch sagen, dass wir als Austauschstudenten hier sehr offen empfangen wurden. Madrinas und Padrinos, studentische Ansprechpartner, kümmern sich um alle Fragen und Zweifel die wir haben. Außerdem hat die Universität dafür gesorgt, dass sich die ausländischen Studenten untereinander kennen. Zusammen mit unseren kolumbianischen Unterstützern hat sich ein lustiges Grüppchen gebildet, in dem Keiner zu kurz kommt. Ich kann mich also eigentlich nicht wirklich beschweren.

Die Begrüßungsrede von Direktor Jesús Ferro Boyona: