Giants Lesestunde: „Sturmland – Die Reiter“ von Mats Wahl

„Sturmland – Die Reiter“ ist Mats Wahls Grundstein für ein dystopisches Epos. Die Welt, die der Schwede erschafft, bietet viel Stoff, um interessante Geschichten zu erzählen. Leider fehlt jedoch das Gefühl von Neuem.

„Erzähl vom Schnee.“ – „Das hast du doch schon hundert Mal gehört.“ – „Erzähl es noch einmal.“

Worum geht´s?

50 Jahre in der Zukunft lebt die 16-jährige Elin mit ihrer Familie im schwedischen Ödland. Stürme haben das Land verwüstet und fast unbewohnbar gemacht. Auf Geheiß der Regierung sind die meisten Bewohner in die Städte gezogen. Nur wenige Familien bleiben in der Wildnis wohnen. Clans bleiben fast ausschließlich unter sich und selbst zwischen Nachbarn herrscht tiefstes Misstrauen. Banditen, wilde Tiere und das unberechenbare Klima machen jeden Schritt im Freien zu einer gefährlichen Tortur.

Trotz allem brechen Elin und ihre Bruder Vagn auf. Sie müssen einige Dinge aus der nächstgelegenen Versorgungstation besorgen. Doch auf dem Rückweg geraten sie in einen Hinterhalt, bei dem Elin einen Mann tötet und Vagn entführt wird. Eine gefährliche Suche nach dem Bruder beginnt, bei der sich Elin mit allerlei Problemen herumschlagen muss, allerdings auch ihre große Liebe Harald kennen lernt.

das Sturmland

„Sturmland – Die Reiter“ ist der Auftakt zu Mats Wahls neuem Zukunftsepos. Der schwedische Autor erschafft eine dystopische Welt, die wie der Verlag betont, „erschreckend realistisch“ wirken soll. Das stimmt auch. Wahls Vision ist nicht nur in sich kohärent, sondern scheint auch gar nicht so weit weg von dem, was jetzt schon im Rahmen des Möglichen liegt. Der Klimawandel droht der ganzen Welt mit Wetterextremen und der Autor denkt hier einen Schritt weiter. Wer sich eine Zukunft ausdenkt, hat auch immer technische Entwicklungen im Kopf. Elin kommuniziert über ein Gerät, dass von einem Smartphone nicht weit entfernt ist und die hochauflösenden Kameras, die das Haus ihrer Familie beschützen, gibt es heute schon. Interessant ist vor allem der Kontrast, den Mats Wahl zeichnet. Es existieren keine Autos mehr, gereist wird auf Pferden und in Elins Familie weiß jeder mit Armbrust und Messer umzugehen, da moderne Schusswaffen verboten sind.

meinung

Lesenswert ist „Sturmland – Die Reiter“ sicherlich für jeden, der sich, wie ich, gerne von einer anderen Welt einnehmen lässt. Vor allem wer sich für Science-Fiction und Dystopie begeistern kann, sollte Wahls Schweden mal einen Besuch abstatten. Ein großes Leseerlebnis ist der Roman trotzdem nicht. Das liegt zum einen an der sehr nüchternen Sprache. Der Autor erzählt die Geschichte in der dritten Person des Präsens. Das ist ungewohnt und wirkt protokollarisch kühl. Die Distanz zu den Figuren bleibt eigentlich immer gewahrt. So erlebt der Leser weder die glücklichen Momente, noch die tragischen, wirklich mit. Es ist schwierig so eine Beziehung zu einzelnen Figuren aufzubauen und die Charaktere bleiben ohne Tiefe. Das ist schade, da sie nicht nur in meinen Augen, sondern auch für einige Amazon – Kommentatoren, viel Potential gehabt hätten.

Zum Frust vieler Leser tragen sicherlich auch die eher abgehakt gehaltenen Dialogszenen bei. Die haben mich persönlich aber weniger gestört. Wenige Worte passen für mich in die allgemein etwas drückende Stimmung in „Strumland – Die Reiter.“ In meinem Kopf entsteht das Bild einer Familie, die gezwungen ist, den ganzen Tag sprichwörtlich „aufeinander“ zu sitzen. Alles ist gesagt, es ist keinen Platz und kein Bedarf für viele Worte. Längere Dialoge baut Mats Wahl nur da ein, wo sie Grundsteine für die Entwicklung seines Epos legen. So zum Beispiel, als sich Elin plötzlich im Kreuzverhör der Regierung wiederfindet.

Noch eine Anmerkung am Ende: Denkt man über Mats Wahls Werk nach, fragt man sich automatisch: Lese ich hier etwas Neues? Ist Dystopie dieser Art nicht irgendwie ausgelutscht? Tausende Romane, hunderte Hollywoodfilme und zig Videospiele haben sich mittlerweile schon mit einer Postapokalyptischen Welt beschäftigt. Die Verhöre der Regierung in „Sturmland – Die Reiter“ erinnern an „1984“, schon „Mad Max“ prügelte seine Schrottkiste durch ein sandiges Ödland und in „The Walking Dead“ ist die Hauptfigur auf einem Pferd unterwegs. Es gibt unzählige Parallelen in die verschiedensten medialen Bereiche und Genres. In postmodernen Zeiten ist es schwer sich von Vorlagen zu lösen und man kann dem Autor sicherlich nicht vorwerfen, intertextuellen Bezüge, egal ob bewusst oder unbewusst, in seinem Roman eingebaut zu haben. Es bleibt am Leser zu entscheiden, ob er sich auf eine weitere Apokalypse, eine weitere negative Zukunftsvision, einlassen will. Persönlich juckt es mich nicht so sehr, die Reihe weiter zu verfolgen.