Es ist ein komisches Gefühl, das traute Heim zu verlassen und sich für viele Monate ins Ungewisse zu begeben. Freudige Spannung und unangenehme Nervosität wechseln sich ab. Aber warum? Gedanken kurz vor dem Abflug nach Bogota.
Es war eine meiner ältesten Freundinnen – alt hier im wahrsten Sinne des Wortes, die Frau ist über 80 – die meine aktuelle Gefühle auf unterhaltsame Weise auf den Punkt brachte. Gerade jetzt muss ich wieder an sie denken. Ich sitze am Flughafen in Lissabon und warte auf den Abflug nach Bogota. In Kolumbien werde ich über 5 Monate verbringen und mich danach über den Kontinent treiben lassen, soweit ich eben komme.
Einige Monate zuvor sitze ich mit Anna über einer Tasse Kaffee. Ich erzähle von meinen Plänen ins Ausland zu gehen und versuche gleichzeitig zu vermeiden, dass sie sich um mich sorgt. Irgendwann im Gespräch in dem ich meine Erfahrungen in Südamerika schildere und ihr erkläre, warum niemand Angst um mich zu haben braucht, überrascht sie mich. Sie sieht mich mit einem verschmitzten Lächeln an, beide Augen auf mich gerichtet, eines davon glasig und blind. „Für mich sind das sowieso alles Wilde“, meint sie.
Auch wenn diese Worte für keinen von uns ach so weltoffenen Menschen wirklich „korrekt“ klingen, steckt in ihnen doch viel Wahres. Anna erklärt in diesem kurzen Satz eigentlich, warum es mich, trotz all meiner Erfahrung und all meines Reisewahns, noch immer aufwühlt, so lange in Südamerika zu leben. Es geht darum, dass ich noch immer zu wenig über die Gegend, in der ich mich aufhalten werde, weiß. Natürlich habe ich mich informiert, ich habe viel gelesen und versucht mich irgendwie vorzubereiten. Woher kommt dann aber die Nervosität, oder der Respekt vor der Herausforderung?
Aus unserem westlichen Federbett heraus, kommen uns viele Länder vor, als wären sie nur von „Wilden“ bevölkert. Wir hören nur von Problemen und gesellschaftliche Strukturen, die nicht den unsrigen entsprechen, sind uns von vorn herein suspekt. Daher kommt auch die eine Frage, die mir jeder gestellt hat, der von meinen Plänen erfuhr: „Ist es dort nicht gefährlich.“ Ehrlich gesagt habe ich mich mit dieser Frage selbst auch erwischt, musste allerdings immer wieder an meine letzte Reise nach Südamerika zurückdenken, auf der ich viele offene und interessante Menschen kennen lernen durfte und mich kein einziges Mal bedroht fühlen musste.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in 24 Stunden nicht mehr an Annas Worte denken werde. Ich freue mich auf neue Eindrücke, eine neue Welt, neue Gesichter, darauf, dass die Zeit langsam vergeht. Natürlich kann es hin und wieder auch ungemütlich werden und die kommenden neune Monate strahlen sicherlich nicht nur in hellen, karibischen Farben. Trotzdem, ich bin gespannt und denke, Respekt vor dem „Neuen“ zu haben, ist mehr als normal.