Uruguay ist das Auenland Südamerikas. Wer nach einem alternativeren Südamerika sucht, ist hier richtig. Außerdem: Montevideo, legales Marihuana, Rinder, ein ganz besonderer Präsident, ein Hippiedorf und viele atemberaubende Sonnenuntergänge.
Buenos Aires verlasse ich schweren Herzens. Irgendwie habe ich mich erst beim zweiten Mal so richtig in Argentiniens melancholisch – spannende Hauptstadt verliebt. Aber ich freue mich auch schon auf Uruguay, den kleineren, etwas exzentrischen Bruder auf der anderen Seites des Rio de la Plata. Erste Station: Der ehemalige Schmugglerhafen Colonia del Sacramento.
Colonia del Sacramento ist ein verschlafenes Nest, in das eigentlich nur durch die vielen Tagesausflügler aus Buenos Aires etwas leben kommt. Trotzdem bleibe ich hier drei Tage hängen und erhole mich von der großen Stadt. In Colonia gibt es einige kleine Museen, einen Leuchtturm und viele Geschäfte voller Artesanias, aber sonst eigentlich nichts. Das Highlight hier ist der glühende Sonnenuntergang, den man vom Strand aus beobachten kann. Zwei Abende hintereinander sitze ich andächtig auf einem Felsen und Blicke in die Ferne. Alleine dafür lohnt es sich, länger hier zu bleiben.
Nach zwei vollen Tagen in Ruhe und ohne viel zwischenmenschliche Kontakte, sehne ich mich wieder nach etwas Action. Deshalb geht es Richtung Montevideo. Am Busfenster fliegt eine Landschaft vorbei, die man so auch im Allgäu finden könnte. Kleine und größere, zumeist recht hübsche Bauernhöfe sind zu sehen und vor allem viele Kühe. Auf jeden Einwohner Uruguays kommen etwa vier Rinder. Insgesamt wirkt die Republik auf mich ein bisschen wie das Auenland Südamerikas. Das Chaos anderer Teile des Kontinents scheint hier weit weg und wer danach sucht, sollte nicht nach Uruguay kommen. Auf der Schulter eines Polizisten, der neben mir sitzt, entdecke ich das Motto der Nationalpolizei: „Libertad en el Orden“, also Freiheit in der Ordnung.
Monte VI de este a oeste
Auch in Montevideo ist das zu spüren. Die Hauptstadt Uruguays ist mit Buenos Aires nicht wirklich zu vergleichen. Obwohl hier die Hälfte aller Einwohner des Landes – lächerliche 1,5 Millionen – lebt, ist die Stadt deutlich ruhiger, alles geht etwas langsamer und die Straßen sind sicherer. Das Erste, was man in Montevideo machen sollte ist definitiv die Free Walking Tour. Hierbei bekommt man nicht nur viel über die Stadt an sich mit, sondern auch über dieses ganz besondere Land. Dass das Leben hier in ungleich ruhigeren Bahnen verläuft, verglichen mit dem Rest Südamerikas, war mir ja schon klar, doch die Gesellschaft hier hat noch so einige Besonderheiten zu bieten.
Wie Uruguay insgesamt so drauf ist, wird einem bewusst, wenn man sich das Bürogebäude anschaut, in dem der Präsident der Republik arbeitet. Ein großer Glaskasten soll hier Nähe zum Volk generieren. Diese entsteht aber eigentlich schon dadurch, dass jeder direkt vor der ebenfalls gläsernen Eingangstüre vorbeigehen kann, ja sogar betreten könnte man das Gebäude, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Unvorstellbar in anderen Teilen der Welt, aber hier keine große Sache. Es sind so gut wie nirgends Sicherheitsleute zu sehen und die einzige Kamera, die auf Montevideos Unabhängigkeitsplatz angebracht ist, funktioniert nicht.
Doch warum tickt Uruguay so anderes? Wie kommt es, dass ein Land mitten im Chaos Südamerikas derart die Ruhe bewahrt und sich selbst treu bleibt? Schon lange lebt Uruguay in Frieden und relativ gesicherter Demokratie – mal abgesehen von kürzeren Diktaturen. Bei unserer Stadtführung behauptet der Guide sogar, dass die beiden größten Parteien Uruguays die ältesten der Welt sind. Angeblich bestehen sie schon knapp 180 Jahren so, wie sie heute sind.
Pepe Mujica
Wenn man sich ein bisschen mit der Politik Uruguays auseinandersetzt, kommt man an einer Person nicht vorbei: Der letzte Präsident José Mujica, auch genannt Pepe, war kein normaler Regierungschef. Sein ganzes Leben war er politisch aktiv, zu Anfang allerdings als Guerillero. Für seine Vergangenheit saß der überzeugte Sozialist 14 Jahre im Gefängnis, nur um schließlich entlassen zu werden und sich offiziell am politischen Geschehen zu beteiligen. Vieles von dem, was Uruguay zu einem so modernen Land macht, hat er los getreten. Zu den essentiellen Errungenschaften seiner Regierung zählen neben der Verbesserung von Sozialstaat und Bildungssystem auch die Legalisierung und staatliche Regulierung von Marihuana. Außerdem sind seit seiner Regierung Abtreibungen nicht nur legal, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert und werden von den Krankenkassen bezahlt. Ärmere Teile der Gesellschaft müssen sich so für eine Abtreibung immerhin nicht mehr in Lebensgefahr begeben.
Doch Pepe wurde nicht nur durch seine progressive Politik zum Nationalheld. Er war sicherlich auch der genügsamste Präsident, den die Welt je gesehen hat. Ungefähr 90% seines Gehalts flossen während seiner gesamten Amtszeit in Regierungsprogramme gegen Armut oder wurden an NGOs gespendet. Außerdem hatte er keine Lust, auf die luxuriös eingerichteten Wohnräume, die der Präsident normalerweise bezieht, sondern blieb auf dem Anwesen seiner Frau wohnen. Es ist verständlich, dass große Teile Uruguays noch immer zu ihm aufschauen.
Uruguay heute
Doch zurück zur Realität Uruguays heute. Es ist das Land, in dem jeder das Recht hat, seine eigenen Marihuana Pflanze zu ziehen. Züchtung, Konsum und Kauf sind legal, nur der Verkauf ist es eigentlich nicht. Hempshop Besitzer in Montevideo haben sich da einen kleinen Trick ausgedacht. „Man kauft ein paar Papes für viel Geld und bekommt dann ein „Geschenk“ oben drauf“, erklärt uns der Stadtführer. Außerdem meint er: „Hier ist es einfacher an Graß zu kommen, als an Mayonnaise“, als einem der Teilnehmer auffällt, dass die obligatorischen Fläschchen mit Soße auf den Tischen der Imbisse fehlen. Anscheinend gibt es ein Gesetzt, das verbietet die Soße vor dem Gericht an den Tisch zu bringen. „Wisst ihr“, meint der Guide mit einem Grinsen im Gesicht, „wir essen hier gerne und viel. Und wenn das Brot an den Tisch kommt und schon Soße da steht…schwups ein Sandwich mit Mayonnaise.“
Mayonnaise und Marihuana sind natürlich nicht das einzige, was Montevideo und Uruguay ausmacht. Auch der Mate Tee gehört zu Uruguay, wie Spießbürger zu Deutschland. Unser Guide behauptet, um wie ein Urugayo (sprich Uruguascho) auszusehen, sollte man immer eine Thermoskanne unter dem Arm und einen Becher in der Hand haben. Und es stimmt, läuft man nur ein Stückchen die Promenade Montevideos entlang, sieht man unzählige Einheimische, die alleine oder in kleinen Grüppchen dem grünen Tee frönen. Viele nuckeln an der Bombilla, während sie auf den unglaublichen Sonnenuntergang warten.
Eine weitere Spezialität aus Uruguay: Steak natürlich. Bei 12 Millionen Rinder in diesem kleinen Land, kein Wunder. In Montevideo bekommt man überall einen ordentlich gegrillten Brocken Fleisch, am besten ist die Ware aber im „Mercado del Puerto.“ Wieder ein etwas skurriler Ort, denn der Hafenmarkt ist nicht etwa eine alte Werft oder Abfertigungshalle, sondern ein Bahnhof, der allerdings noch nie einen Zug gesehen hat. Eigentlich hatte Peru den Bahnhof aus Europa bestellt, doch als er über Montevideo geliefert werden sollte, hatten die Peruaner kein Interesse mehr. So wurde der Bahnhof versteigert und Montevideo schlug zu. „Weils billig war“, meint unser Guide.
Pausa Espiritual
Nach Montevideo will ich meinen Trip am Strand von Uruguay abschließen. Zum Glück ist eine Freundin aus Frankreich (hier könnt ihr ihrem Blog einen Besuch abstatten) dabei, sonst wäre das Ganze eine eher einsame Angelegenheit. Nur im Sommer füllen sich Uruguays Strände, doch jetzt zwischen Winter und Frühling, trifft man maximal einige hartgesotten Einheimische in den wunderschönen Orten. Wir besuchen La Pedrera und Cabo Polonio. Vor allem in Cabo gefällt es mir sehr gut. Der Ort liegt mitten in einem Naturschutzgebiet und besteht eigentlich nur aus kleinen Häusern. Straßen gibt es keine. Über dem ganzen ragt ein Leuchtturm in den Himmel, der vor allem nachts wunderschön aussieht und Pferde grasen zwischen den Hütten. Hin und wieder hört man den Schrei eines wilden Seehundes von den Felsen herüberschallen.
Das ganze Jahr lang leben etwa 50 Menschen auf der Halbinsel und nur im Sommer wird es richtig voll. Als wir dort sind, gibt es einen kleinen Laden, der das nötigste auf Lager hat; ein einfaches Restaurant und eine Bar. Vor allem die Bar ist interessant, da sich hier immer wieder das gesamte Dorf versammelt. Alle Räume sind spärlich oder gar nicht beleuchtet und man verbringt den Abend fast in kompletter Dunkelheit. Angeblich ist der Besitzer und gleichzeitig älteste Bewohner des Cabos vor Jahren an einer halluzinogenen Pflanze erblindet. Er braucht also kein Licht und ansonsten scheint es auch keinen der Besucher zu stören.
Cabo Polonio ist ein ruhiges Hippiedorf, das man auch dann besuchen sollte, wenn man damit nicht wirklich viel anfangen kann. Die wilden Seehunde, der Sonnenuntergang und der unglaubliche Blick vom Leuchtturm sind es allemal wert. Nach dem gelungenen Abschluss hier, mache ich mich auf die Heimreise. Drei volle Reisetage brauche ich, bis ich über Porto Alegre und Lissabon wieder Zuhause in Deutschland angekommen bin. Ein letzter Trip mit nur einem Ziel: Zuhause.